T1 Draisine: der Bulli für die Schiene
Draisine: vom Straßenhelden zum Schienen-Profi
Ein VW Bus ohne Lenkrad und Rückspiegel, dafür mit Stahlrädern, die ihn über Schienen rollen lassen? Was heute absurd klingt, war in den 1950er-Jahren eine clevere Lösung der Deutschen Bundesbahn: der T1 Draisine. Eine faszinierende Mischung aus Bulli und Bahn – und ein weiteres kurioses Kapitel in der Geschichte des legendären Volkswagen Transporters.
Ein restauriertes und extrem rares Exemplar von 1955 mit der Fahrzeugnummer 20-5011 gehört heute zur Sammlung von Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer in Hannover.
Wenn die Bahn zum Bulli greift
1954 steht die Deutsche Bundesbahn vor einem Problem: Sie braucht kompakte Dienstfahrzeuge fürs Gleis. Aber warum etwas Neues entwickeln, wenn es den vielseitigen Bulli gibt? Die Lösung: der sogenannte Klv-20 – Bahndeutsch für „Kleinwagen mit Verbrennungsmotor“. Oder einfach gesagt: ein T1 auf Schienen.
Zwei Firmen übernehmen den Umbau: Martin Beilhack aus Rosenheim und die Waggon- und Maschinenbau GmbH Donauwörth. Am Ende entstehen 30 dieser ungewöhnlichen Schienen-Busse.
Clever konstruiert – und ziemlich wendig
Der Draisinen Bulli kombiniert drei Hauptkomponenten: die Karosserie eines T1 Kombi, einen 21 kW (28 PS) starken Volkswagen Industriemotor und ein Schienenfahrgestell mit einer genialen Hebe-Drehvorrichtung. Und die ist genial: Statt mühsam rückwärts zu rangieren, hebt eine einzige Person den Bulli einfach an, dreht ihn um 180 Grad und setzt ihn wieder aufs Gleis.
Damit der Schienen Bulli den Vorschriften für Nebenfahrzeuge der Bahn entspricht, bekommt er neue Signallampen, die die serienmäßigen Leuchten ersetzen: vorne zwei weiße, hinten eine rote – Standard im Gleisverkehr. Innen bietet er Platz für bis zu acht Personen oder, wenn nötig, auch für ordentlich Ladegut. Denn die Sitzbänke Fahrgastraum lassen sich leicht entfernen.
Ein Leben auf Reisen: Schienen Bulli on Tour
Seinen ersten Einsatz hat der Klv-20 von Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer in Bayern, im Bahnbetriebswerk Plattling. Später wechselt er zur Signalmeisterei. Nach der Ausmusterung der Baureihe in den 1970ern landet unser Schienen-Bus in der Pfalz. 1988 nimmt sich ein Eisenbahn-Sammler aus Hessen des ungewöhnlichen Fahrzeugs an. Heute ist er wieder da, wo er hingehört: in besten Händen, als Teil der Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer Sammlung in Hannover.
Premierenfahrt mit Aussicht: Bulli auf hohem Niveau
Die erste Fahrt nach der Restaurierung? Ein echtes Erlebnis! Auf der malerischen Draisinenstrecke in Lengenfeld unterm Stein rollt der Schienen Bulli wieder über die Gleise – durch Tunnel und mehrfach über das beeindruckende Lengenfelder Viadukt. Tobias Twele von Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer beschreibt den Moment so: „Es gibt nicht viele Varianten des Bulli, die wir bisher noch nicht gesehen haben oder gefahren sind – diese Draisine gehört eindeutig dazu. Darum war es für uns ein sehr emotionaler Moment, als wir mit dem Team das erste Mal über das 24 Meter hohe Viadukt gefahren sind.“ Insgesamt legt der Draisinen-T1 32 Kilometer zurück – und das mit diesem unverwechselbaren, gleichmäßigen Rumpeln, das nur eine Fahrt auf Schienen bietet.
Damit hat der Bulli einmal mehr bewiesen: Es gibt kaum etwas, was er nicht kann. Ob auf der Straße oder der Schienen – der Bulli bleibt eine Legende.